Neue Räume [Helga de la Motte-Haber]:
In den Arbeiten von Rolf Julius erscheinen Landschaftsausschnitte, Wände,
Räume, akustisch überformt, betont und umgewandelt; gelbe und schwarze
Klänge, kleine Klänge oder solche mit der Eigenschaft »ganz
oben« spielen eine Rolle. Räume zeigen sich in neuartigen Dimensionen,
zugleich werden ihre Eigenschaften durch Klänge ins Bewusstsein gerückt.
Die Nebenbei-Wahrnehmung von Größe und Helligkeit wird in dem künstlerisch
gesetzten Koordinatensystem zur klaren Wahrnehmung. Im Hinhören auf ein
Fenster oder eine Mauer wird die Distanz subjektiv deutlich, Nähe und Entfernung
gewinnen Präsenz. Die Räume sind nicht mehr nur geometrisch vermessen,
sondern sie werden zu Erlebnisräumen. Das Heraustreten aus der Alltagswahrnehmung
in den leisen sich verschiebenden Klangschichten hat Julius zuweilen benutzt,
um stille Räume zu schaffen, die sich durchaus in einer lauten, verkehrsreichen
Umgebung befinden können. Der Lärm verschwindet, wenn man sein Aufmerksamkeit
ganz auf die minimalen Veränderungen der Klänge richtet. Er wird an
den Rand der Wahrnehmung gedrückt. Solche Konzentration schafft Ruhe. Sie
macht einen Raum der Kontemplation möglich. Julius hat für dieses
Heraustreten aus einer lauten Umgebung durch die Versenkung in seine leisen
Klänge das Bild eines »akustischen Lochs« gebraucht. Die Schutzzone
der Ruhe, in die man sich eingraben kann, verändert die Formate der Umgebung.
Die Klänge machen Räume zu Orten, die subjektiv vermessen sind.
[Aus: Helga de la Motte-Haber: »Musik für die Augen«, in: SMALL
MUSIC (GRAU), hg. v. Bernd Schulz und Hans Gercke, Heidelberg: Kehrer 1995,
S.13–14.]
Musik weit entfernt (Detail), 2005, Installation, Berlinische Galerie, Foto © Rolf Julius