Ana Torfs | essay | cv |
Approximations/Contradictions 2004
net music
www.diaart.org/torfs
Web-Projekt
Zyklus von Kleinigkeiten [Cycle of Trifles] 1998 film Filmhaus Babylon 10.7. 20:00
Zyklus von Kleinigkeiten [Cycle of Trifles] 1998 film Filmhaus Babylon 10.7. 20:00
In Approximations/Contradictions bezieht
sich die belgische Künstlerin Ana Torfs auf das Hollywooder Liederbuch,
eine Sammlung kurzer expressiver Lieder, die Hanns Eisler während seines
Exils in Kalifornien zwischen 1942 und 1943 komponiert hat. Sie ermutigte
eine Gruppe sehr talentierter, unterschiedlicher Menschen, diese Lieder
zu interpretieren, und fügte dann diese Darstellungen zu etwas sehr
Unterhaltsamen und Schönen, aber dennoch Beunruhigendem und Bezwingendem
zusammen.
Aus ihrer Auseinandersetzung mit Eislers Werk entstand eine Vorstellung
davon, wie Eisler selbst dieses dunkle und zugleich witzige Material aufgeführt
hätte (Contradictions). Ihre Vermutungen wurden von Irmgard Arnold
(geb. 1919) – Sopranistin und bis 1989 Star an der Komischen Oper
Berlin – bestätigt, die in den 1950er Jahren intensiv mit Eisler
zusammengearbeitet hatte. Neben Irmgard Arnold suchte Torfs noch zwanzig
weitere Charakterdarsteller, im wesentlichen in Belgien lebende Schauspieler
und Sänger verschiedener Nationalitäten, zumeist ohne klassische
Ausbildung.
Mit der Absicht, auf die Situation zu reagieren, in der sich Menschen normalerweise
im Internet bewegen, und sie in gewisser Weise zu antizipieren, bietet sie
eine Art intimes Kino an. Einundzwanzig Schauspieler und Sänger wurden
auf drei verschiedene Weisen gefilmt. Dabei werden wir zu Zeugen ihrer Verwandlung
von einer »Person « zu einer »Figur«. Da, im Design
vergleichbar mit einem Spielfilm, am Ende auf die Auflistung der Mitwirkenden
verzichtet wird, werden auf der Startseite des Projekts jeweils drei Versionen
jedes Songs angeboten, dabei nehmen die Liedtitel die Stelle ein, an der
sonst die zu spielende Rolle steht. Die erste Version (mit einem Link zum
Namen des jeweils Ausführenden) zeigt, wie sich die Sänger ein
Lied mental vergegenwärtigen, während sie die Klavierbegleitung
hören. Während der Proben zu diesem Projekt beobachtete Torfs,
dass jeder Sänger sehr schnell das jeweilige Lied auf seine besondere
Weise »darstellt«. Für die zweite Version (zugänglich
durch einen Klick auf die Linie, die den Namen mit dem Liedtitel verbindet)
forderte Torfs die Sänger auf, sich dies bewusst zu machen und zu wiederholen.
In dieser Version sieht man auch den jungen Pianisten Piet Kuijken, dessen
Gesicht genauso viel erzählt wie seine musikalische Interpretation.
Für die dritte Version (mit einem Link zu jedem Liedtitel) bat Torfs
die Aufführenden, direkt in die Kamera zu schauen und etwas anzuziehen,
was zum Inhalt des Liedes passt, so als ob sie für ein Musical gefilmt
würden. Im Gegensatz zur ersten Version, in der alle in neutralem Weiß
gekleidet sind, sind die Frauen hier geschminkt und neu frisiert.
Torfs filmte die Sänger in Nahaufnahme und setzte sie, stilistisch
dem Portraitbild vergleichbar, in einen Rahmen: als Brustbild mit wenig
lichter Höhe, in Brusthöhe abgeschnitten, vor einem weißen
Hintergrund. Diese drei Annäherungen (Approximations) haben sehr unterschiedliche
Auswirkungen. Betrachtet man die erste, wie in einem Stummfilm ohne Ton,
kann man die Konzentration der Performer fühlen, kann sie singen sehen,
obwohl sie stumm sind. Englische Übersetzungen der deutschen Liedtexte
sind der zweiten und dritten Version unterlegt. Wie die erste vermittelt
auch die zweite Version einen leicht voyeuristischen Eindruck. Man sieht
die Sänger auf sehr persönliche Weise agieren. Und in der dritten
Version, in der der Sänger direkt in die Kamera blickt, wird der Betrachter
an der Verwandlung des Sängers, an seiner Annahme der Rolle beteiligt.
Zyklus von Kleinigkeiten
Nach 1815 verschlechterte sich Beethovens Gesundheitszustand rapide, und
sein Hörvermögen nahm in einem Maße ab, dass er Gesprächen
nicht mehr folgen konnte. Seine Besucher mussten, um sich verständlich
zu machen, in die Notizbücher schreiben, die er bis zu seinem Tod 1827
immer bei sich trug. In Zyklus von Kleinigkeiten betrachtet die belgische
Künstlerin Ana Torfs Beethovens Leben anhand der einzigartigen Aufzeichnungen
dieser Konversationshefte. Sie enthalten alle Worte und Sätze, die
in den letzten Jahre an den tauben Komponisten gerichtet worden waren: Sie
konservieren, wie es war und was alles um ihn herum passierte. Zyklus von
Kleinigkeiten enthüllt, wenn auch einseitig, eine Innenansicht seines
Alltagslebens. In sehr stilisierten und zeitlosen, in schwarz und weiß
gehaltenen Szenen entsteht ein ungewöhnliches Bild von Beethovens Leben.
Das unglaublich weiße Licht, das sich über jede Sequenz am Ende legt, die Statik der Bilder unauffälliger Landschaften und die Entspanntheit der Bewegungen, die die Zubereitung einfacher Mahlzeiten begleiten, die Momente der Stille zwischen den Textfragmenten, die offensichtliche Extrovertiertheit der Charaktere: All das zusammen formt eine willkommene Leere, die den Betrachter »entzückt« – ein etwas altmodischer Ausdruck für ein Gefühl zwischen Kontemplation und Vergnügen. Vor allem aber führten mich die Schauspieler in dieses Universum der Kleinigkeiten, die den Alltag des wohl berühmtesten Komponisten ausmachten.
(Marleen Baeten, »Eerst de taal, dan het beeld«, in: etcetera 65, Oktober 1998)
Die Bilder – atemberaubend in schwarz-weiß – zeigen die Gesetztheit des Empirestils. Heftige Gefühle werden klein und zurückgenommen – durch den Kontrast zwischen Wort und Bild, durch Verdrängung und Unterbrechung. Die durchgehende Farbigkeit ist die einer der Dissonanz – nicht der Tautologie – und offenbart gleichzeitig die große Stärke und enorme Schwäche der offiziellen Filmsprache.
(Dirk Lauwaert, »Beethoven off-screen«, Muziek en Woord, Mai 1998)
Das unglaublich weiße Licht, das sich über jede Sequenz am Ende legt, die Statik der Bilder unauffälliger Landschaften und die Entspanntheit der Bewegungen, die die Zubereitung einfacher Mahlzeiten begleiten, die Momente der Stille zwischen den Textfragmenten, die offensichtliche Extrovertiertheit der Charaktere: All das zusammen formt eine willkommene Leere, die den Betrachter »entzückt« – ein etwas altmodischer Ausdruck für ein Gefühl zwischen Kontemplation und Vergnügen. Vor allem aber führten mich die Schauspieler in dieses Universum der Kleinigkeiten, die den Alltag des wohl berühmtesten Komponisten ausmachten.
(Marleen Baeten, »Eerst de taal, dan het beeld«, in: etcetera 65, Oktober 1998)
Die Bilder – atemberaubend in schwarz-weiß – zeigen die Gesetztheit des Empirestils. Heftige Gefühle werden klein und zurückgenommen – durch den Kontrast zwischen Wort und Bild, durch Verdrängung und Unterbrechung. Die durchgehende Farbigkeit ist die einer der Dissonanz – nicht der Tautologie – und offenbart gleichzeitig die große Stärke und enorme Schwäche der offiziellen Filmsprache.
(Dirk Lauwaert, »Beethoven off-screen«, Muziek en Woord, Mai 1998)
In Approximations/Contradictions
Darsteller: Irmgard Arnold, Kobe Baeyens, Esmé Beysens, Esmé
Bos, Marijs Boulogne, Vera Coomans, Kris Dane, Koen De Cauter, Viviane De
Muynck, Jim Denley, Madiha Figuigui, Lucy Grauman, Claire Haenni, Filip Jordens,
Cécilia Kankonda, Simonne Moesen, Dett Peyskens, Zahava Seewald, Olivier
Thomas, Hilde Vanhove, Bruno Vanden Broecke.
Klavier: Piet Kuijken
Musik: Hanns Eisler
Texte: Bertolt Brecht
Kamera: Jorge Leon
Tontechnik: Michel Huon
Regieassistenz: Els Van Riel
Sprechberater [deutsch]: Christine Gregor
Web Design: Jurgen Persijn und Ana Torfs
Web Mastering: Olivier Renard
Neue Übersetzung der Liedtexte von Bertolt Brecht aus dem Deutschen ins
Englische: Vera Van Maelsaeke
Übersetzung der Biographien: Robin D’hooghe
Approximations/Contradictions wurde beauftragt
von der Dia Art Foundation, New York, und unterstützt vom New York State
Council on the Arts, dem Vlaams Audiovisueel Fonds [Belgien], deSingel [Antwerpen]
und dem Koninklijk Conservatorium [Brüssel]. Hollywooder Liederbuch [Hollywood
Songbook], Musik von Hanns Eisler, mit Erlaubnis des Deutschen Verlags für
Musik, Leipzig.
Zyklus von Kleinigkeiten (Cycle of Trifles) 1998
Spielfilm, 35 mm, 86 Minuten, schwarz-weiß, Dolby Stereo, dt. mit
engl. Untertiteln.
Regie: Ana Torfs
Musik: aus Beethovens späten Streichquartetten, gespielt vom Quatuor
Danel.
Schauspieler: Stanley Duchateau, Guy Dermul, Paul De Clerck, Johan Heestermans,
Nicolas Houyoux, Catherine Lemeunier, Bart Meuleman, Erik Thys, Jean Torrent,
George Van Dam, Bella Wajnberg u.a.
Kamera: Jorge Leon
Schnitt: Jurgen Persijn
Produktion: Daniel De Valck, Cobra Films (Belgien)
In Koproduktion mit Balthazar Film (Niederlande), Navigator Film (Österreich),
Canvas (Belgien), VZW Storm (Belgien).
Mit Unterstützung von: Fonds Film in Vlaanderen (Belgien), Stichting
Nederlands Fonds voor de Film (Niederlande), KunstenFESTIVAL des Arts (Belgien)
Avdienst K.U. Leuven (Belgien), Quatuor Danel (Belgien), Huis aan de Werf
Utrecht (Niederlande), Kunstsektion des Bundeskanzleramtes Österreich.
Zyklus von Kleinigkeiten wurde ausgewählt unter anderem für die
Filmfestivals in Rotterdam, Sao Paulo, Riga, Tourcoing, Genf, Brüssel,
Gent, Lissabon, Fribourg und Split, wo er 1999 mit dem Grand Prix ausgezeichnet
wurde.