Susan Hiller | essay | cv |
What Every Gardener Knows 2003/06 Exhibition
Akademie der Künste am Hanseatenweg Klanginstallation im Außenraum
Dank an Timothy Taylor Gallery, London, und Galerie Volker Diehl, Berlin.
Akademie der Künste am Hanseatenweg Klanginstallation im Außenraum
Dank an Timothy Taylor Gallery, London, und Galerie Volker Diehl, Berlin.
What Every Gardener Knows ist der Titel einer, die ich 2003 für die
Ausstellung Genius Loci – Kunst im Garten im Stadtpark Lahr gemacht
habe. Das Stück basiert auf Gregor Mendels Vererbungslehre [1], die
ich in Musik »übersetzt« habe und das von einem Glockenspiel
zur viertel, halben und vollen Stunde gespielt wird, im Rahmen eines Zyklus
von 12 oder 24 Stunden.
Im Unterschied zu meinen anderen Klang integrierenden Werken ist What Every
Gardener Knows unsichtbar. Es ist für eine Gartenanlage im Freien konzipiert
und benötigt deshalb für diesen Zweck wasserdichtes Equipment.
Im Idealfall sind die beiden Lautsprecher links und rechts eines kleinen
Weges oder im Gebüsch versteckt. Wenn alles richtig installiert ist,
ist die Hardware vollständig unsichtbar, und der Schall meines Glockenspiels
reicht so weit wie der von Kirchenglocken oder der Aufruf zum Gebet aus
der Moschee.
[1] Die einfachen, jedem Gärtner bekannten
Mendelschen Gesetze bilden den Ausgangspunkt meines Glockenspiels im Freien.
Die Transposition des Mendelschen Systems in Klang war leicht machbar, geht
es doch aus von einer Reihe von Grundelementen in Binärkombinationen,
die sich in immer weiteren binären Strukturen fortsetzt; das habe ich
in Form von Grundakkorden ausgedrückt.—
Jeder Garten ist immer ein Versuch, eine perfekt kontrollierbare und vorhersagbare
Pflanzenpopulation zu schaffen, die nach Mendels Gesetzen der Vererbung
gezüchtet wurde. Die Vorstellung von Unkraut entsetzt jeden Gärtner;
Unkräuter sind einfache Pflanzen, von Gärtnern verabscheut und
von Botaniker als anthropomorph, als invasiv, aggressiv, angepasst und fremd
charakterisiert. Mendels Verwissenschaftlichung der Pflanzenzucht versetzte
die Gärtner in die Lage, in sich konsistente Pflanzenpopulationen zu
produzieren. Sie konnten nun mehr als nur Unkraut vernichten. Sie konnten
auch Unkrautartiges (das heißt Missliebiges) unter den Spezies der
Gartenpflanzen aussondern und eliminieren.—
Mendels System, liebevoll konstruiert, war in erweiterter Form nicht nur
die Grundlage der Genetik, sondern auch der Eugenik, der Wissenschaft von
der Züchtung einer perfekten und einheitlichen menschlichen Population.
In Gegensatz dazu interpretiert mein Garten-Glockenspiel die Mendelsche
Lehre von der Verteilung der Erbeigenschaften als eine Affirmation der Verschiedenheit.
What Every Gardener Knows zelebriert die Muster der Selbstähnlichkeit
und der Differenz, des Dominanten und des Rezessiven auf eine tiefgründigere
und kompliziertere Weise, als es zuerst scheinen mag. Es betont den Weg,
wie Mendels System die Vererbung von unsichtbaren Merkmalen erklärt,
die auf komplexe und überraschende Weise zur möglichen Kombination
und Rekombination der Eigenschaften führt. In diesem Sinne singt mein
Glockenspiel für uns alle, im Gegensatz zu den exklusiven Adressaten
der Kirchenglocken und des Rufs des Muezzins. Denn wir alle, Pflanzen und
Menschen, bestehen letztendlich aus immer neu zusammengesetzten und vererbten
Merkmalsmustern – Unkraut und andere, unliebsame oder fremde Elemente
eingeschlossen.