Kalle Laar [Christian Wolf]:
Der Musiker Kalle Laar kultiviert in den Performances seines Temporären
Klangmuseums eine ganz eigene Sound-Kultur. Wenn Erik Satie mit seiner Musique
d’Ameublement einen Raum möblieren wollte, dann bringt Kalle Laar
eine anhaltende, imaginäre Bewegung in den Raum, die so wirkt, dass man
sich beständig der Musik vergewissern muss. Denn was er am Mischpult mit
LPs, CDs und Elektronik zaubert, ist nichts anderes als Klänge und Strukturen,
die sich beständig auflösen. Jeder Moment wird zu einem Moment des
Übergangs. Nie darf man sich sicher fühlen. Kalle Laar, in Deutschland
geboren, aber lettisch-estnischer Herkunft, bewegte sich Anfang der 90er Jahre
in der Improvisationsszene, als Gitarrist im Duo mit Takashi Kazamaki. Man spürt
auch sofort bei seinen DJ-Auftritten, dass hier ein Musiker am Pult steht, der
mit den Formen und ihrer Selbstauflösung spielt. Plattenspieler und Mischpult
sind für ihn legitime Musikinstrumente, die lediglich anders zu bedienen
sind als die herkömmlichen. Seine Musik hat mittlerweile eine solche Detailsensibilität
entwickelt, dass sich die Frage nach stilistischen und kulturellen Grenzen oder
Kategorien (wie: tanzbar vs. nicht tanzbar) gar nicht mehr stellt – es
ist ein einziger Fluss der Klänge. Er selbst spricht von »Hör-Reisen«,
man kann auch Ohrenkino dazu sagen. Denn wie ein Film folgen die Klänge,
die eingebetteten Songs, die Verweise und Zitate einer Dramaturgie, die durch
und durch musikalisch ist. Das Exotische steht hier neben dem Alltäglichen
– und eins verwandelt das andere, schärft nicht nur die Wahrnehmung
für feine Klänge und Differenzen, sondern relativiert auch die Vorstellungen,
die man sich von dem Nahen und dem Fremden gemacht hat. Wenn man diese Performances
mit einem Begriff belegen möchte, dann vielleicht mit dem Attribut »selbstbefremdlich«,
denn innerhalb dieses Kontinuums gelingt es Kalle Laar, die Musik sich selbst
in Frage stellen zu lassen.
The RCA Victor Dream Machine 2006, Haus der Kunst München, Foto © Kalle Laar
Kalle Laar ist unter anderem auf CDs mit Elliott Sharp, Christian Marclay, William
Parker, Kazutoki Umezu zu hören. Inzwischen liegen neben Soloauftritten
im Spannungsfeld zwischen DJ und elektronischer Musik die Schwerpunkte auf der
Entwicklung von Klanginstallationen, der Arbeit an Hörspielen und der Komposition
von Theatermusik. Daneben werden Veranstaltungen betreut, die ein besonderes
Soundkonzept voraussetzen, Vernissagen, Museumseröffnungen. Dies beinhaltet
auch die Zusammenarbeit mit anderen Medien – etwa die Live-Vertonung von
Filmen. Zusätzlich arbeitet Kalle Laar noch als Herausgeber für das
Label »Trikont – Our Own Voice« (u.a. La Paloma, Coco Schumann)
und besitzt einen Lehrauftrag für Architektur und Klang an der Fachhochschule
München. 1996 gründet Laar zusammen mit der Künstlerin Barbara
Holzherr das Temporäre Klangmuseum in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus,
München, wo er als musikalischer Leiter und DJ die Veranstaltungsreihe
Nächte der verlorenen Musik betreut.