Zu Maurice van Tellingen essay cv
Maurice van Tellingen – Architekt der Realität [Flos Wildschut]: Im Amsterdamer Studio des Künstlers Maurice van Tellingen fällt der Blick sofort auf einen Fernseher, in dem ein Hitchcock-artiger Film läuft. Maurice van Tellingen zeigt mir sein jüngstes, noch nicht ganz abgeschlossenes Projekt. Aus einem Stapel von B-Pictures, die er auf einem Flohmarkt ergattert hat, hat er penibel alle Innenaufnahmen ausgewählt und zusammengeschnitten. Das Ergebnis ist ein ganz neuer Film. Sehr bald wird deutlich, dass dieser Film, der aus lauter Fragmenten zusammengefügt ist, nicht auf eine Erzählung mit einer Auflösung am Ende hinausläuft, und dennoch kann ich mich ihm kaum entziehen. Die dort erzeugte Atmosphäre von suspense macht mich immer wieder neugierig auf die jeweils nächste Szene. Die einzelnen Fragmente scheinen eine Geschichte zu erzählen. Ich höre Schritte. Erotisches Stöhnen wird vom Geklapper einer Schreibmaschine überlagert. Eine LP dreht sich langsam auf einem Plattenspieler. Anstelle von Musik höre ich aber, wie ein Telefon klingelt – ein altmodischer Klingelton aus den fünfziger Jahren. Ein Feuer brennt im Kamin. Unerträglich langsam dreht sich ein Türgriff. Etwas Schreckliches wird sich bestimmt ereignen. Die Uhr tickt. Es gibt keinerlei Anzeichen von Menschen; ihre Anwesenheit wird nur suggeriert. Denn irgendjemand muss das Feuer angemacht, muss die Platte auf den Plattenspieler gelegt haben. Und die Tür wurde auch nicht durch einen leichten Windstoß geöffnet. Dann sind da noch die Klänge. Das klingelnde Telefon verrät, da ist eine Person am anderen Ende der Leitung.
Diese Arbeit ist typisch für Maurice van Tellingens Gesamtwerk. Das Interieur ist eines seiner zentralen Themen. Es manifestiert sich in seinen Arbeiten in Form von Peepshow-artigen Boxen. Maurice van Tellingen bezeichnet diese Miniatur-Interieurs lieber als dreidimensionale Gemälde. Sie können durchaus mit der Genre-Malerei des 17. Jahrhunderts verglichen werden. Dieser Vergleich stellt ihn in die holländische Tradition der Innenraum-Malerei, aber während die Innenansichten eines Johannes Vermeer und eines Pieter de Hoogh bewohnt sind, sind die von van Tellingen menschenleer. Nichtsdestoweniger kann man die Präsenz von Menschen in seinen Interieurs fühlen, durch den subtilen Gebrauch von Licht und Klang, die weder eine natürliche noch eine übernatürliche Quelle haben, sondern eindeutig von Menschen verursacht sind.
Zeigt uns Maurice van Tellingen etwas, das den Anschein von Wahrheit hat – was eine streng religiöse Konnotation wäre – oder versucht er einfach sachlich und nüchtern Realität nachzuahmen? Vielleicht ist aber in seinem Werk beides ineinander verschränkt. Mir kommt in diesem Zusammenhang der Begriff presentia realis in den Sinn, der sich auf griechisch-orthodoxe Ikonen bezieht. Ikonen, die Christus oder die in der griechisch-orthodoxen Kirche geheiligten Apostel darstellen und die durch die Darstellung als wirklich anwesend betrachtet werden. Auch der Gedanke an Platons Höhlengleichnis liegt nahe, was uns zu einer etwas tiefer greifenden Betrachtung führt. Erkennen wir die Realität oder sehen wir nur den Schatten, das Derivat einer höheren Realität?
Wissen wir heute, was Realität ist? Gibt es nur eine Realität oder hat jeder Mensch seine eigene? In welchem Umfang kann Realität überhaupt imitiert werden? Der beste Weg, ein im Wesentlichen nicht greifbares Phänomen wie die Realität zu erfassen, ist ein maßstabsgetreues Modell davon zu bauen – oder es zumindest zu versuchen. In der Architektur vertraut man auf Modelle, um die Struktur und räumlichen Charakteristika eines Gebäudes zu klären. Das maßstabsgetreue Modell ist kompakter und liefert ein besseres Gesamtbild als das Gebäude selbst, das man nicht auf einen Blick überschauen kann.
Auch wenn Maurice van Tellingen sich selbst lieber einen dreidimensionalen Maler nennt, sehe ich ihn eher in der Tradition der Architektur. Für mich ist er mehr ein Architekt der Realität; jedes Mal, wenn man seine Arbeiten betrachtet und hört, zwingt er einen, neue persönliche Realitäten zu konstruieren – im eigenen Kopf. Und hat nicht da die Realität ihren Sitz, irgendwie? [Flos Wildschut in: Maurice van Tellingen, selected works 2001–2004, Werkkatalog, Amsterdam 2004]
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Dave Allen
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Building Transmissions & Douglas Park
Janet Cardiff/George Bures Miller
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[dy'na:mo]
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Gut & Rist aka Gutarist
Carl Michael von Hauswolff & freq_out orchestra
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Georg Klein/Steffi Weismann
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